Kritik Tanz:

Verzerrte Spiegelung der Massenkultur

VON ISABELLA WALLNÖFER (Die Presse) 13.07.2004

Superamas verbreiten in "BIG" Wahnsinn mit Methode und stellen die moderne Konsum- und Wahrnehmungswelt auf den Kopf.

Eine Art Cat-Woman in Lack und Leder, eine Stewardess, die Anti-Falten-Creme verteilt, und müde Models, die mit dem Sinn des Lebens hadern. Die österreichisch-französische Gruppe Superamas hat Sonntagabend beim ImPuls-Tanz im Arsenal ihre Gegenwelt zum schicken Fernseh- und Theater-Biz errichtet, zur Bussi-Bussi-Unkultur und der sexuell revolutionierten Nachgeborenenwelt. In "BIG, 2nd episode (show/business)" tragen sie kräftig auf, überzeichnen so lange, bis das Society-Make-Up zu bröseln beginnt und sich die fahle Haut unter der zugespachtelten Fassade zeigt. Eine kluge, schrullige, humorvoll-verzerrte Spiegelung der Massenkultur.

Alles beginnt heimelig mit dem leise groovenden Spiel auf der Schattengitarre. Und einem Video-Spot, wie man ihn auch im Werbefernsehen oder auf MTV finden kann. Fast. Denn irgendetwas ist da faul. Stinkfröhliche Typen reden ihrem Freund aus, dass das Leben für ihn mehr Inhalt zu bieten hätte als Foto-Shootings - dann feiern sie die Bekehrung werbewirksam mit "Frappuccinooooo!" Schon drehen die Burschen ein paar coole Runden mit dem Auto, ziehen an der Tankstelle eine ausgelassene Wet-Party mit Benzin ab und rauchen, hip wie sie sind, eine. Die Letzte, versteht sich, denn schon fliegt die spritgetränkte Chose samt der hübschen Models in die Luft.

Das ist Wahnsinn mit Methode. Noch ehe das Publikum wieder Luft kriegen kann, sind Superamas auf der Bühne unter der Video-Wall mit ihrer Flugbegleiterin im Flight-Shop, testen Lippenstift für Herren und Skin-Care für Bruce. Immer wieder. Mal mit Zungenkuss, mal ohne. Mal mit Bulimie-Geständnis, mal ohne. Wie Play-Back-Sänger bewegen die Performer ihre Lippen zu fremden Stimmen. Je öfter sich die Szene wiederholt, umso deutlicher schält sich aus dem parfümiert-gespreizten Moment, der einem irgendwie bekannt vorkommt, ein kaputter, bröckeliger Kern. Superamas nennen das "Dé-montrer" - Zerlegen dessen, was ursprünglich eine Einheit war, mit dem Ziel, die sichtbaren Tatsachen in Frage zu stellen. War die Stewardess zunächst freundlich, meint man beim dritten Durchgang zu durchschauen, dass sie die Mundwinkel nur mechanisch in die Höhe zieht. Alles Gewohnheit. Alles trainiert.

Sorgfältig gehen Superamas vor. Das Licht. Die Interview-Passagen von Jean-Luc Godard. Die Einrichtung: eine Palme, eine Bar, der zuvorkommende Shop mit den Tiegeln, Cremen und der kessen Wäsche. Wunderbar. Aber viel zu glatt, um wahr zu sein. Superamas drehen an der Schraube der uns gewohnten Wahrnehmung. Alles wird Millimeter um Millimeter künstlich übersteigert, bis es überdreht ist. Nichts entspricht dem polierten Gesellschaftsbild, das wir von unserem durch Medien und Werbung geprägten Hochglanz-Alltag haben. Nur Christina Aguilera ist in ihrem Making-of-Video die, die sie ist. Oder ist sie gar nicht die, die sie spielt? Wer weiß?