Feuilleton FRANKFURTER RUNDSCHAU Tanztheater in Berlin Von Sylvia Staude In den Länderberichten, die die US-Regierung regelmäßig zur Lage der Menschenrechte herausgibt, sind die Fakten dessen nachzulesen, was am 20. Dezember 2006 in Ouagadougou, Burkina Faso, passierte: Ein junger Soldat hatte sich bei einem Konzert auf einen Platz gesetzt, den er nicht bezahlt hatte (ihm stand offenbar nur ein billigerer zu). Polizisten nahmen ihn fest, schlugen ihn, sperrten ihn ein. Auf diese Überreaktion überreagierten andere Soldaten. Es kam zu Kämpfen zwischen dem Militär und der Polizei, vier Soldaten und zwei Polizisten starben. Der US-Bericht kann ihre Namen nennen, außerdem spricht er von einer"unbekannten Anzahl" von getöteten Zivilisten. Was der Menschenrechtsbericht nicht enthält: Dass an diesem Tag in Ouagadougou das Tanzhaus "La Termitière" eröffnet wurde, nach Angaben der Choreografen Seydou Boro und Salia Sanou, die zuvor über Jahre dafür gekämpft hatten, das am besten ausgestattete Zentrum für zeitgenössischen Tanz in Afrika. Die beiden Künstler reagierten auf die unerwartete Gewalt an diesem Tag, der einer der Freude hätte sein sollen, indem sie ein Stück darüber machten: "Poussières de Sang", Blutstaub. Es eröffnete am Wochenende im Haus der Berliner Festspiele als Deutschlandpremiere das diesjährige "Tanz im August"-Festival. Ihm folgte einen Tag später im HAU "Empire (Art and Politics") vom französisch-österreichischen Theaterkollektiv Superamas. Es geht darin unter anderem um die Schlacht bei Aspern, in der Napoleon 1809 seinen ersten Nicht-Sieg einstecken musste. Auf der Bühne des HAU 2 wird von 40000 Toten gesprochen, andere Quellen nennen bis zu 24000 tote Österreicher und 30000 tote Franzosen. Superamas lassen "Empire" mit Dreharbeiten für einen Film über diese Schlacht beginnen. Mit Bajonett und Säbel und in plausibel aussehenden Uniformen (historische Kostüme: Sabine Debonnets) wird gestürmt und gestorben, während andere der insgesamt 14 Akteure (darunter drei namenlose Superamas) flirten und intrigieren. Dann fällt die letzte Klappe und ist Party. Die Stücke dieses Eröffnungswochenendes könnten nicht unterschiedlicher sein in der Wahl ihrer Mittel. Die Theatermacher mit dem galaktischen Pseudonym sind Meister der Oberflächen, der Nonchalance, Virtuosen der Popkultur und des Playback. Ihr Theater ist bunt, flink, schrill, fragmentarisch, multimedial. An der Tür wird vor Stroboskoplicht gewarnt, das finale Schlachten begleitet, schön ironisch, Michael Jacksons Warnung an Westentaschen-Machos: "Beat It!". Aber Superamas wissen, was sie tun: Unter Scherz und Show tut sich manchmal schneller der Boden auf, als man den Titel des Jackson-Songs sagen kann. Noch tanzt der Kongress in "Empire" - beziehungsweise gibt der französische Botschafter eine Party für die Filmleute -, aber die Einschläge kommen näher. Süffisant zitiert der Ami dem französischen Gutmenschen einen Ausspruch General Pattons im Zweiten Weltkrieg: Es ist nicht das Ziel des Krieges, dass du für dein Land stirbst, sondern dass der andere Bastard für seines stirbt. Seydou Boro und Salia Sanou beschäftigen sich nicht mit Wir und Ihr, mit der Frage, wer der andere Bastard ist und ob er angefangen hat. Sie verlegen die Gewalt-Recherche in die (mit ihnen insgesamt sieben) Tänzerkörper; Text kommt in "Poussières de Sang" ausschließlich von der Sängerin und den teils ebenfalls singenden vier Musikern - leider gibt es im ansonsten informativen Programm davon nichts in Übersetzung. Gewalt ist hier etwas, das in der Luft liegt. Oft wirkt sie gleichmäßig auf das ganze Ensemble, gibt es keinen "Täter", wechseln die Rollen, egal, ob Tänzerin oder Tänzer. Die Bewegungssprache hält dabei perfekt Balance zwischen Ausdruck und Abstraktion. Sie kommt aufs Beste aus ohne allzu naheliegende Pantomime, ohne Stechen, Schlagen, sie trägt nie zu dick auf. Leitmotive geben ein Gerüst, etwa das Stehen auf allen Vieren, während der Körper, der Kopf vor allem, von einer unsichtbaren Hand (oder der eines Kollegen) geschüttelt wird. Der Tanz zeigt Furor, Kraft, Schnelligkeit, aber er ist gleichzeitig sparsam. Der bildende Künstler Ky Siriki hat ein wüstenfarbenes Wandquadrat beigesteuert, den Boden bedeckt beige-roter Staub. Das schlichte Bühnenbild belässt die Energie beim Tanz und der Musik, und diese verbinden auf selbstverständliche und plausible Art afrikanische und westliche Traditionen. Die beiden 1968 und 69 geborenen Choreografen haben zehn Jahre mit der Französin Mathilde Monnier zusammengearbeitet, sie wollen "keine leere Bewegung" (Seydou Boro) und die Exotik-Stereotype afrikanischen Tanzes hinter sich lassen. Das tun sie, überzeugend und unaufgeregt. Doch die an den Theatern des Westens so gern gepflegte Ironie verschmähen sie, "Poussières de Sang" ist ein geradlinig ernstes Stück. Dem Thema Gewalt angemessen, könnte man sagen, doch beweisen eben Superamas, dass es anders ebenso gut geht. Dort beschließt eine Theatertruppe in Sektlaune, dass man jetzt mal was über Kunst und Politik machen müsse ... und setzt ihr Vorhaben punktgenau um, so erfrischend albern wie schwarz-traurig. Beide Stücke treffen sich dort, wo sie den Sog der Gruppe ausmachen als Auslöser von Gewalt. Die Choreografen aus Burkina Faso individualisieren sowieso nicht, die Theatermacher aus Österreich und Frankreich zeigen, wie schnell sich der Mensch anpasst an Vorbilder an Feigheit und Gewalt.
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