Peter Stamer Telekolleg Superamas Irgendwann in den 70er Jahren hatten lustige Außerirdische das Pech, ausgerechnet in der Kulturnation Frankreich zu landen. Leider konnten sie keine Grußbotschaften austauschen, weil sie natürlich kein einziges Wort von dem verstanden haben, was die grande nation ihnen entgegenfuchtelte. Ihnen erging es damit wie dem herkömmlichen Deutschen aus Freilassing in Paris: im supermarché fanden sie den camembert nicht, weil sie noch nicht einmal die écriture auf der emballage lesen konnten. Tu comprends? Das deutschsprachige Fernsehen zeigte ein Einsehen und schenkte den Sprachaliens aus der universalen Nachbarschaft, bevor sie zu verhungern drohten, einen auf vierzig Folgen angelegten Telekollegkurs Französisch. „Les gammas, les gammas“, wie die außerirdischen Kohlköpfe fortan darin heißen, lernen nunmehr in sich ewig wiederholenden Spielszenen die Regeln des französischen Sprachspiels. Die glücklichen Aliens, aus den Weiten des Raumes in die Welt der Mattscheibe kommend, pauken geduldig unregelmäßige Partizipbildungen, Frageinversion oder Lokaladverbialstellungen und treffen sich zu spaßigen Spielszenen in Bank, Supermarkt, Wohnzimmer, um dort sie zuzuhören und nachzusprechen, zuzuhören und nachzusprechen, zuzuhören und nachzusprechen. Voilà les gammas, wie sie nicht nur den französischen Sprachalltag bewältigen, sondern sich darüber schleichend gallizieren und gute Franzosen werden: Telekolleg Kultur.
Schwarzes Loch Kultur 30 Jahre später spielen die telegenen Kollegen von Superamas, Superamas auf ihre coole Tour ein nicht ganz unähnliches Spiel mit den Versatzstücken westlicher Kultur. Allerdings spielen die Franzosen es nunmehr so, als seien die Zuschauer die unwissenden, sprachlosen Außerirdischen, die gerade aus jenen fernen Galaxien auf die Erde gekommen sind; immerhin bedeutet Superamas so viel wie „Ansammlung von Galaxien, deren Gravitationsschwerpunkt um die schwerste und größte aller beteiligten Galaxien rotieren lässt“. In ihren Performance-Sternstunden, die sich schwerpunktmäßig um einem funkelnden Mix aus Filmszenen, Voice Overs, Popsongs und Körpergesten drehen, beschleunigen Superamas die sozialen und medialen Teilchen der Massenkultur und lassen sie immer wieder aufeinander prallen. Dabei gilt für die cultural performance, aus welcher sich Superamas bedient, das Gleiche wie für die Astronomie: nicht alles, was massig ist, muss auch sichtbar sein. Vielmehr scheint das, was besonders anziehend ist, eher eine unsichtbare Masse aufzuweisen. Kultur wäre damit vorstelltbar als ein großes schwarzes Loch, das im Dunkeln bleibt, während es alles Andere anzieht und verschluckt. Man könnte die Werke von Superamas nun als performative Strategien auffassen, dem schwarzen Loch bei seiner kulturellen Arbeit zuzusehen. Zuschauen, wie etwa in der Performance Casino Jean-Luc Godard in einem Making-Of-Ausschnitt auftritt, welcher die Darstellung des Todes in einem Kriegsfilm von Sam Peckinpah mit den Jubelgesten von Boris Becker aus dem Fernsehen vergleicht, so dass der Zuschauer am Ende nicht mehr weiß, ob der Körper überhaupt das auszudrücken in der Lage ist, was er außerhalb der massenmedialen Rahmung emotional gerne sagen würde. Oder wie in BIG, 2nd episode das eingesetzte Gestenrepertoire in seiner penetranten Wiederholung als Ready-Made einer hoch mobilen sozialen Körpertechnik entlarvt wird, wodurch der Körper in verschiedenen situativen Kontexten eine je andere kulturelle Performance leisten kann. Der individuelle Körper des Menschen verschwindet in der kulturellen Matrix auf Nimmerwiedersehen wie der störende Komet im schwarzen Loch; sein Auftauchen ist temporär, er zieht vorüber. Was bleibt ist ein gerade noch messbares ko(s)misches Rauschen seiner letzten Zuckungen. Schänder & Mädchen Jedoch brechen Superamas diesen All-Anspruch immer wieder auf die profanste aller Welt-Formeln herunter, jene der Geschlechterregeln zwischen Männern und Frauen. Das ist dann in etwa so doppeldeutig wie bei Woody Allen, der in einem seiner letzten Filme über die Existenz von schwarzen Löchern philosophiert und dabei aber die dunkelhäutige Prostituierte meint, die nackt bis auf das Schamhaar neben ihm im Bett liegt. So einfach wird Licht ins Dunkel gebracht, Licht auf die obskure, dunkle Anziehungskraft geworfen, die Frauen auf Männer haben. Letzere nun sind das große Thema von Superamas. Die Boygroup hat sich für ihre Bühnenarbeiten der letzten Jahre zwei Gogo-Girls (Big 1), eine Flugbegleiterin (Big, 2nd episode) oder vier Cheerleader (Casino) eingeladen. Der Befriedigung männlicher Seh(n)süchte dienende Frauen, deren Rollentypisierungen vor allem in Film und Fernsehen festgeschrieben werden. Frauenklischees, deren Negligés noch dazu zu vernachlässigen sind, so wenig tragen sie zum Teil auf der Bühne am Körper. So weit, so durchsichtig. Dass diese Körperdarstellungen bei einigen Zuschauern jedoch bis aufs Blut provozieren, liegt daran, dass sie den von Superamas aufgezeigten Zusammenhang von „Gender und Medien“ nur als Verhältnis von „Schänder und Mädchen“ zu sehen vermeinen. In Casino etwa gibt es Tanzszenen zwischen ‚den Jungs’ und den ‚Cheerleadern’, die nichts Anderes als Tableaux vivants sehr lebhafter Stellungswechsel sind, in welchen die Höschen der ‚Mädchen’ sehr an Woody Allens besonderes Verständnis von Astrophysik denken lassen. In BIG, 2nd episode, unterbricht die Stewardess, mit einem Hauch von Nichts am Körper, das nichtssagende Gespräch zweier Geschäftsleute, um vor der Hose des einen in die Knie zu gehen, vollkommen out of the blue (movie), während das nichtige Gerede einfach weitergeht. In einer großartigen Videoeinspielung von Casino fährt die Kamera auf Hüfthöhe durch das kühle Küchen- und Wohnzimmerambiente eines Fertighauses, auf dessen Boden es die vermeintlichen Schänder und Mädchen miteinander treiben, in der Ready-Made-Wohnung fertig gemacht.
Das Maß der Dinge Superamas wissen, they fucking know it, dass nicht das Verhüllen kulturelle Zusammenhänge offen legt, sondern nur das Zeigen selbst. Im Modus des Vorführens zeigen sie dabei nicht nur, wie Klischees funktionieren, das haben wir mittlerweile verstanden, sondern vor allem, dass sie funktionieren. Das Blut, was da vermeintlich vor Aufregung bei einigen in Wallung gerät, pocht in gewissen Körperregionen besonders stark. Vorführung als vorgeführte Verführung. Superamas haben die Hand fest am Skrotum des männlichen Blicks und variieren die Druckstärke nach Belieben. Der ultimative Oswalt-Kolle-Maßstab, an welchem der Sexaufklärungsfilmer am Schneidetisch bei sich maß, wie weit er gehen konnte, bevor der physiologisch induzierte Aufstellwinkel ihn zwang aufzustehen, ist hier für die Zuschauer durchkalkuliert. Das kritische Publikum weiß um die durchsichtige Inszenierung, aber es „can’t stand outside a text that interpolates us,“ wie der Performancetheoretiker Martin Hargreaves in einem Einspielfílm in BIG 2nd episode die uns durchdringende, penetrierende Wirkung der kulturellen Matrix beschreibt. Das kulturelle Netz, das über unsere Körper-Haut gelegt wird, informiert die Netzhaut, den Blick, der nicht nach Draußen blicken kann, wie sehr er auch versucht, zu kommentieren, sich zu distanzieren: Dagegen Aufstehen hilft auch nicht.
Telekollegen Dieser Vorführgestus macht auch nicht vor der Schauspielkunst von Superamas Halt. Man sieht, wie durchschnittlich alles gespielt ist. Die Boygroup Superamas führt den Zuschauern Szenen vor, die in ihrer darstellerischen Qualität aus dem öffentlich-rechtlichen Schulfunk oder dessen popkulturellem Wiedergänger, der Soap-Opera, entsprungen zu sein scheinen. Bei beiden lernt man, wie man mit einem sehr beschränkten Einsatz von theatralen Mitteln ein Maximum an kulturellen oder emotiven Fakten vermittelt. Die Performanceserie Big bietet dabei kulturellen Anfängern einen Einführungskurs (Big 1), Fortgeschrittenen den Aufbaulehrgang (Big 2nd episode) in Sachen Kultureller Praxis, und Big 3 ist schon in Planung. Die glücklichen Vereinfacher Superamas grimassieren, fuchteln und spielen Boulevard, fügen in Telekollegattitüde jeder Szene solange deren Wiederholung zu, bis der Zuschauer fast jeden Satz mitsprechen, jede Bewegung fast selbst ausführen kann und folgende Lektion gelernt hat: „Dans la civilisation occidentale, le problème majeur des hommes c’est d’entrer en relation avec les femmes.“* Das können selbst die außerirdischen Gammas verstehen.
Peter Stamer
· „In der westlichen Gesellschaft ist es das Hauptproblem für Männer, in Kontakt mit Frauen zu treten.“ (Jean Luc Godard, in: Big, 2nd episode)
published in: TBA | Die Musikzeitung 01/2006, authors: Christine Standfest & Peter Stamer, http://www.tba-online.cc
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